Samstag, 17. Oktober 2015

Schusslokalisierungen: Eine erste Annäherung

Um Tore zu erzielen, muss man den Ball auf das Tor schießen. Eine recht triviale Einsicht, die jedoch einigen Raum für weitergehende Analysen lässt. Zum Abschluss zu kommen ist ein guter Indikator, um die Leistung eines Teams einzuschätzen, sowohl in einzelnen Spielen als auch über einen längeren Zeitraum gesehen. Modelle, die Mannschaften aufgrund ihrer abgegebenen und zugelassenen Schüsse einschätzen, sind, wie viele Untersuchungen gezeigt haben, valider als solche die auf einfachen Statistiken wie Toren oder Punkten basieren. Methoden basierend auf Leistungsindikatoren wie TSR, STR und xG (Expected Goals) werden zunehmend herangezogen, um die Leistung von Teams unabhängig von den nackten Ergebnissen zu beurteilen und mögliche Divergenzen zwischen den sportlichen Leistungen und dem Abschneiden in der Tabelle zu erklären.

Nach knapp einem Drittel der Meisterschaft lügt die Tabelle natürlich noch (sie tut es aus statistischer Sicht gesehen auch noch nach 36 Runden, aber das sei einmal dahingestellt) in dem Sinn, dass Glück und Zufall beim Zustandekommen der Ergebnisse, die zur derzeitigen Konstellation führten, wahrscheinlich eine nicht vernachlässigbare Rolle gespielt haben. Die Tabelle bildet daher unter Umständen die wahre Leistungsstärke der Teams nur unzureichend ab. Eine Analyse der Schussstatistiken, ihrer Häufigkeiten und ihrer Lokalisierung ist deshalb dazu geeignet, sich der wahren Performance der Teams anzunähern und etwaige Unterschiede zwischen Leistung und Punkten aufzuzeigen. Zusätzlich kann darauf eingegangen werden, was die bisher erfolgreichen Teams gut gemacht haben und wobei es bei den derzeitigen Nachzüglern hapert.

Bereits vor einigen Wochen, nach neun Runden, also dem Viertel der Meisterschaft, habe ich auf Twitter einige Statistiken verbreitet, wozu auch Schussstatistiken zählten. Eine der überraschendsten Erkenntnisse damals war, dass sowohl TSR als auch STR Sturm Graz als bestes Team der Liga auswiesen, was wohl sehr viele Zuseher eher bezweifeln würden (mittlerweile hat Salzburg die beste TSR der Liga, bei der STR liegt aber weiterhin Sturm in Front). Sturm profitierte dabei vor allem von der starken Defensive, die ligaweit die mit Abstand stärkste war, was Schussstatistiken betrifft. So hatte man in den ersten neun Runden nur je drei Schüsse aufs Tor pro Spiel zugelassen; im Spiel nach vorne hatte man jedoch gegenüber Salzburg das Nachsehen. Auf der anderen Seite war auffallend, dass Admira und Altach die ungefährlichsten Teams der Liga waren und als einzige keine dreistellige Anzahl an Schüssen abgegeben hatten. Der Unterschied in der Tabelle zwischen diesen beiden Teams ist also bemerkenswert, umso mehr als sie sich in Bezug auf die zugelassenen Schüsse nicht grob voneinander unterschieden. Ebenfalls von Interesse waren die Daten von Aufsteiger Mattersburg, das bei der offensiven Produktion recht ordentlich abschnitt, defensiv jedoch das Scheunentor der Liga war und in den ersten neun Runden im Schnitt mehr als sechs Schüsse aufs Tor zuließ (die Daten haben sich angesichts zweier eher desolater Spiele in den folgenden Runden nicht verbessert).

Seitdem sind die Befunde nicht gravierend anders geworden, haben sich allerdings ein wenig verschoben. Graphik 1 zeigt mit aktuellen Daten den Zusammenhang zwischen abgegebenen Schüssen und erzielten Toren. Salzburg ist weiterhin vor Sturm das Team mit den meisten abgegebenen Schüssen, die Admira ist weiterhin Schlusslicht in dieser Kategorie. Altach hingegen hat stark aufgeholt und nähert sich bereits den beiden Wiener Großklubs an.

Graphik 1

Die Graphik erlaubt auch, die Schussverwandlungsrate der Teams abzulesen und zu vergleichen. So hat beispielsweise Schlusslicht Wolfsberg insgesamt zwei Schüsse mehr als Tabellenführer Rapid abgegeben, jedoch weit weniger davon im Tor utnergebracht. Altach wiederum hat gleich viele Tore wie Sturm Graz erzielt (zwölf), allerdings dafür 38 Schüsse weniger gebraucht. 

Das Problem daran ist, dass die Rate, mit der Schüsse in Tore umgewandelt werden, für Teams alles andere als stabil ist. Insgesamt endeten knapp 11% der Schüsse als Tore, was ein erwartbarer Wert ist. Einzelne Teams weichen derzeit noch von dieser Rate ab, werden sich ihr wahrscheinlich im Laufe der Saison noch annähern, zum Guten und zum Schlechten. So ist es beinahe unmöglich, dass die Admira ihre Rate von 16,5% über die gesamte Saison beibehalten wird können. Sobald sie auf einen realistischeren Wert sinkt, wird auch der Höhenflug in der Tabelle wahrscheinlich ein Ende haben und die Admira nach unten rutschen. Auch Mattersburg, Rapid und mit Abstrichen die Austria sind von einem ähnlichen Abfall bedroht. Ried (5%), Sturm (7%) und Wolfsberg (4%) hingegen können darauf hoffen, dass sich die Regression zum Mittelwert im Laufe der restlichen Saison in der Tabelle zu ihren Gunsten auswirken wird. Die sonstigen Teams Altach, Grödig und Salzburg liegen in etwa dort, wo ein durchschnittliches Team bezüglich Schussverwandlungsrate erwartungsgemäß liegen würde, mit etwas Luft nach oben für Altach und nach unten für die beiden Salzburger Klubs.

Die bisherigen Überlegungen behandelten alle Schüsse gleich, ganz gleich, von wo sie abgegeben wurden. Nun ist allerdings offensichtlich, dass diese Annahme verzerrt ist. Ein Schuss aus vierzig Metern nahe der Seitenlinie ist was Gefährlichkeit für das gegnerische Tor, also die Wahrscheinlichkeit, zum Erfolg zu führen, betrifft doch wesentlich anders einzuordnen als ein Schuss knapp vor dem Tor aus zentraler Position. Basierend auf diesen Annahmen und weiteren Parametern (beispielsweise ob Schuss mit dem Kopf oder dem Fuß, Art des Assists, etc.) weisen xG-Modelle jedem Schuss eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu, im Tor zu landen. 

Ich setze ein ähnliches, jedoch etwas simpleres Verfahren ein und unterscheide lediglich zwischen Schüssen von innerhalb der Gefahrenzone und von außerhalb. Die Gefahrenzone ist ein Teilbereich des Strafraums und besteht aus dem Torraum sowie dem Raum, der von einer gedachten Linie von den Längsseiten des Torraums bis zur Strafraumlinie sowie von dieser selbst umschlossen wird. Schüsse aus dieser Zone haben naturgemäß eine weit höhere Erfolgswahrscheinlichkeit als solche von außerhalb derselben (im Fall der bisherigen elf Runden liegt dieser bei über 20%). Je mehr Schüsse ein Team innerhalb dieser Zone abgibt, desto besser Erfolgsaussichten hat es also. Gleichzeitig kann dies als ein Qualitätsindikator angesehen werden, da diese Zone naturgemäß am stärksten verteidigt wird, es also besonders schwierig ist, dort zum Abschluss zu kommen. Umgekehrt sind Mannschaften niedriger einzuschätzen, je mehr Abschlüsse sie in dieser Zone zulassen.

Graphik 2 zeigt die Summe der Schüsse aus der Gefahrenzone, sowohl die der abgegebenen (x-Achse) als auch die der zugelassenen (y-Achse). Die schwarze vertikale sowie horizontale Linie zeigt den Durchschnitt aller Teams an (~48). Teams rechts der vertikalen Linie sind also offensiv überdurchschnittlich gut, Teams unterhalb der horizontalen Linie wiederum verteidigen die Gefahrenzone besonders gut. Die objektiv besten Mannschaften finden sich also im rechten unteren Eck, die schwächsten demgemäß im linken oberen. Teams in den anderen beiden Vierecken haben unterschiedliche Probleme.

Graphik 2

Wenig überraschend ist, dass sich im linken unteren Feld die vier Teams befinden, die man landläufig für die besten vier der Liga hält. Während Salzburg das offensiv beste Team der Liga ist und etwa gleich gut verteidigt wie Sturm und die Austria, ist Rapid am stärksten darin, den Gegner von der Gefahrzone fernzuhalten. Allerdings ist Rapid offensiv nur die viertbeste Mannschaft der Liga. Sturms Stärke in der Defensive, die man von nackten Schussdaten sowie TSR und STR ablesen kann, wird durch diese Auswertung wiederum etwas relativiert; in den neuralgischen Zonen funktioniert die Verteidigung nicht so einwandfrei wie man insgesamt vermuten könnte. Die Austria ist wiederum in beiden Bereichen noch überdurchschnittlich gut, allerdings unter den Top Vier eindeutig die schwächste Mannschaft. 

Am gegenüberliegenden Rand des Spektrums finden sich drei Teams, die punktemäßig bislang höchst unterschiedlich abschnitten, die man allesamt aber eher am unteren Ende des Leistungsspektrums einschäzen konnte. Grödig und Ried finden sich leistungsmäßig in etwa auf demselben Level, wobei Grödig defensiv und Ried offensiv etwas besser ist. Die wahre Überraschung ist jedoch die Admira, die insgesamt das wohl schwächste Team der Liga ist. Wie ich bereits vor einiger Zeit in einem Tweet darlegte, ist der punktemäßige Höheflug der Admira wohl kaum ein Indikator guter Leistungen und wird auch kaum noch lange anhalten.

In der Mitte der Graphik finden sich zwei Teams, die ziemlich durchschnittliche Leistungen brachten, allerdings derzeit zumindest weit hinten in der Tabelle stecken. Altach ist das einzige Team, das offensiv unterdurchschnittlich und gleichzeitig defensiv überdurchschnittlich gut ist. Man lässt nicht viel zu, kreiert allerdings auch nicht allzu viel. Wolfsberg wiederum spielt zumindest dieser Auswertung nach alles andere als wie ein Abstiegskandidat. Man stellt die fünftbeste Offensive der Liga und liegt in dieser Hinsicht noch vor der Wiener Austria. Defensiv liegt man nur knapp schwächer als der Ligadurchschnitt und lässt vier andere Teams teilweise deutlich hinter sich. Das legt nahe, dass das Abschneiden in der Tabelle tatsächlich zu einem nicht unbedeutenden Teil vom vielbeschworenen Abschlusspech beeinflusst wird. Der niedrigste PDO der Liga weist jedenfalls auch in diese Richtung. 

Generell weisen die Beobachtungen, also die einzelnen Teams, einen indirekt proportionalen Zusammenhang auf: Je mehr Schüsse aus der Gefahrenzone eine Mannschaft abgibt, desto weniger lässt sie tendenziell auch zu. Offensivstarke Teams sind also in der Regel auch defensivstark und vice versa. Die Daten von neun der zehn Teams könnte man anhand einer linearen Trendlinie relativ gut vorhersagen. Lediglich Mattersburg ist in Graphik 2 ein deutlicher Ausreißer. Offensiv ist der Aufsteiger auf einer Höhe mit den Europacupstartern Rapid und Sturm, defensiv ist man hingegen das schwächste Team der Liga. Die Frage ist, ob sich dieses riskante Spiel auf Dauer auszahlen wird oder ins Auge gehen wird. Auf jeden Fall spielt Mattersburg diese Saison auf des Messers Schneide.

Die Gründe für dieses seltsame Bild der Mattersburger Schussstatistiken sind unklar und können sowohl taktischer als auch qualitativer Natur sein. Graphik 3 gibt zum Abschluss einen Hinweis darauf, der zumindest die gute Offensivdaten der Burgenländer miterklären könnte. Sie zeigt die Teams geordnet nach dem Prozentsatz aller Schüsse, die innerhalb der Gefahrenzone abgegeben wurden.

Graphik 3

Die Burgenländer liegen dabei eindeutig und mit Abstand an der Spitze der Wertung. Beinahe die Hälfte ihrer Schüsse geben sie aus der besonders gefährlichen Zone ab. Das heißt auch, dass sie Ballbesitz nicht mit wahrscheinlich ungefährlichen Schüssen vergeuden, auf die unter Umständen noch ein gefährlicher Gegenstoß folgen könnte. Hervorragend in dieser Auswertung schneiden auch Rapid und wiederum Wolfsberg ab, was erneut darauf hinweist, dass die Lavanttaler noch aus dem Keller kommen können, wobei diese Statistik selbst natürlich kein besonders tauglicher Qualitätsindikator ist. Die nächsten vier Teams im Ranking wiederum liegen recht nahe beieinander, etwa um ein Drittel. Am Ende wiederum finden sich jene drei Teams, die auch in Graphik 2 bereits schlecht abschnitten. Ried, Grödig und die Admira haben augenscheinlich nicht nur Probleme beim Kreieren eigener Chancen und dem Verhindern gegnerischer, sondern verschwenden auch viel Zeit, Energie und Ballbesitz mit Torschussversuchen aus wenig aussichtsreichen Positionen.

Abschließend stellt sich die Frage, wie diese Daten zu interpretieren sind, beziehungsweise was sie über den restlichen Verlauf der Meisterschaft aussagen können. Zwar sind sie keine determinativen Predikatoren der weiteren Ergebnisse, allerdings ist durchaus zu erwarten, dass sich Ergebnisse von in Schussdaten positiv abschneidenden Teams noch verbessern, während Klubs mit schwachen Statistiken eher in der Tabelle nach unten gereicht werden können. Es gibt daher einige Konklusionen, die man aus den oben präsentierten Daten ziehen kann:

  • Der Titelkampf bleibt weiterhin ein Rennen auf Augenhöhe zwischen Rapid und Salzburg. Während Salzburg bei allen Schüssen insgesamt besser abschneidet, hat Rapid bei den Schüssen aus der Gefahrenzone leicht die Nase vorne.
  • Sturm sollte sich auf jeden Fall in den Europacupplätzen einreihen können. Die Austria muss sich hingegen weiter steigern.
  • Bei Mattersburg kann der Pfeil in den kommenden Wochen in beide Richtungen zeigen.
  • Die Admira wird nicht mehr lange so weit oben stehen. Die bereits gesammelten Punkte sind jedoch natürlich ein Trumph im Abstiegskampf.
  • In diesem sehe ich mittelfristig vor allem Ried und Grödig, bei denen sowohl Ergebnisse als auch die Leistungen bisher mit die schwächsten waren.
  • Altach und Wolfsberg werden die Klasse halten können.