Die Kritik am SK Sturm wird zumindest online lauter. Dabei werden tatsächlich zwei zu unterscheidende Faktoren bemängelt: Einerseits die unter den Erwartungen liegenden Leistungen und Ergebnisse, andererseits die mediale Außendarstellung, die ersteres unter den Teppich zu kehren sucht. Da dieser letzte Bereich nicht mein Thema ist, beschränke ich mich in den folgenden Zeilen auf die Frage, ob die Kritik an den Ergebnissen und Leistungen berechtigt ist oder ob Sturm beim Zustandekommen der Tabellensituation tatsächlich nur Pech hat, wie es die sportlich Verantwortlichen gerne darstellen.
Beginnen wir bei den Ergebnissen. Sturm steht nach 26 Runden auf Platz vier, hält bei 35 Punkten und einer ausgeglichenen Tordifferenz. Nach vorne (also in Richtung sicherer Qualifikation für den Europacup) wird nichts mehr gehen, nach hinten ist man in Schlagweite der nachrückenden Underdogs Admira und Mattersburg. Dies könnte insofern noch von Relevanz sein, als der vierte Platz im Falle eines Cupsiegs durch die Austria oder Salzburg doch noch zur Europacupqualifikation berechtigt. Man ist ergebnistechnisch also das schwächste Team der Top Vier, und liegt etwa drei Punkte unter dem eigenen langjährigen Mittelwert nach 26 Runden. Fakt ist auch: Der SK Sturm steht in der Frühjahrstabelle nur auf Platz sieben. In den sechs Spielen seit der Winterpause holte das Team von Franco Foda ebenso viele Punkte und damit gleich viele wie Tabellennachzügler Ried. Die Ergebnisse sind also vor allem seit der Winterpause unterdurchschnittlich, wobei fairerweise angemerkt werden muss, dass in der Phase zwei Stammspieler des Herbstteams abhandenkamen und ersetzt werden mussten.
Insgesamt sind die Ergebnisse des SK Sturm in der heurigen Saison jedoch so, wie man es erwarten konnte. Meine Punkteprognose basierend auf der nach der Sommertransferperiode zur Verfügung stehenden Mannschaft (die sich nur marginal von der aktuellen unterscheidet) sagt für die Grazer einen Punkteschnitt von 1,43 voraus. Nach 26 Runden sollte die Mannschaft also bei rund 37 Punkten stehen. Das 95%-Konfidenzintervall reicht dabei von gerundet 35 bis 39, das Team von Franco Foda liegt punktemäßig also im Erwartungsbereich, wenn auch im niederen. Einen Angriff auf die Europacupplätze zu erwarten, wäre also unrealistisch. Um weiter vorne als um Platz Vier mitzuspielen, braucht Sturm neben eigener Overperformance auch eine schwächelnde Konkurrenz, und diese Voraussetzungen sind eben nur in wenigen Spielzeiten gegeben, wie auch nicht in der heurigen, in der keiner der drei anderen großen Klubs die Erwartungen massiv untererfüllt.
Damit kommen wir zu den Leistungen. Wie ich als bekannt voraussetze, sind Ergebnisse nur ein schwacher Indikator für die Leistungsstärke eines Teams, da Zufall und Glück oder Pech eine große Rolle bei ihrem Zustandekommen spielen können. Deswegen werde ich im Folgenden einige andere, aussagekräftigere Indikatoren darstellen und diskutieren, um ein realistisches Leistungsbild des SK Sturm, vor allem in den bisherigen Frühjahrspartien, anzubieten.
Wir beginnen mit zwei eher basalen Indikatoren, nämlich dem Torverhältnis in den sechs Frühjahrsspielen und dem durchschnittlichen Ballbesitz. Der ausgelutschte Stehsatz, wonach Ballbesitz keine Tore schießt, hat zwar seine Richtigkeit (vor allem, wenn man nur einzelne Partien ansieht und nicht langfristige Trends), allerdings ist es auch Fakt, dass Teams mit mehr Ballbesitz in der Regel auch mehr Punkte holen und dementsprechend besser in der Tabelle abschneiden. Ob der Zusammenhang kausal ist oder durch eine Drittvariable ausgelöst wird, sei einmal dahingestellt.
Graphik 1: Zusammenhang zwischen Ballbesitz und Tordifferenz in den sechs Frühjahrsspielen; Sturm Graz schwarz markiert.
Die Daten zeigen, dass Sturm Graz im Frühjahr in dieser Hinsicht durchaus gut unterwegs ist. Man kommt im Durchschnitt auf 56,87% Ballbesitz und liegt damit nur hinter den beiden Wiener Klubs, aber noch vor Salzburg mit dem vermeintlichen neuen, auf Ballkontrolle abzielenden Spielstil. Allerdings ist Sturm die einzige dieser drei Mannschaften, die im Frühjahr auf ein negatives Torverhältnis kommt. Man konnte also die Spiele meist mittels Ballkontrolle dominieren, allerdings nicht genug Kapital aus dieser Dominanz schlagen. Daraus lassen sich Defizite im Spiel mit dem Ball ableiten, was ja durchaus ein häufig gehörter Kritikpunkt ist. Zudem weist eine genauere Analyse der Frühjahrsspiele darauf hin, dass Sturm zwar nie weniger als 50% Ballbesitz hatte, der Durchschnittswert allerdings von zwei Extremwerten nach oben getrieben wird. Sowohl auswärts gegen Altach als auch in Mattersburg musste die Mannschaft relativ lange einem Rückstand hinterherlaufen, was die Gegner dazu nützten, tief zu stehen und Sturm bereitwillig den Ball zu überlassen. Der hohe Ballbesitz ist also nicht immer nur auf Sturms eigene Qualität zurückzuführen, sondern auch auf strategische Entscheidungen des Gegners.
Man konnte also mit trotz Ballbesitzes wenig Tore erzielen, weil auch die Gegner oft tief standen und Sturm den Weg zum Tor versperrten. Allerdings zeigt sich (Graphik 2), dass die Grazer im Frühjahr dennoch am zweitmeisten Schüsse aller zehn Bundesligisten abgaben (90; nur die Wiener Austria kommt auf mehr). Zudem ließ Sturm am zweitwenigsten Schüsse zu, nämlich 64 (Salzburg kommt im Frühjahr auf 62).
Graphik 2: Abgegebene und zugelassene Schüsse in den sechs Frühjahrsspielen; Sturm Graz schwarz markiert.
Daraus ergibt sich die beste Total Shot Ratio (TSR) aller Teams im Frühjahr, nämlich 0,58. Normalerweise sollte dieser Wert zu einer hohen Punkteausbeute führen, was allerdings hier bei Sturm nicht der Fall ist. Bei niedrigen Fallzahlen (wie hier mit nur sechs Spielen) kann das durchaus eintreten, wenn die Mannschaft Pech im Abschluss hat oder die Gegner übermäßig viele Torchancen ausnützen. Dies kann mittels des PDO gemessen werden, dessen Mittelwert aller Teams bei 1 liegt. Unter 1 bedeutet, dass die Mannschaft ihre Chancen schlechter ausnützt als ihre Gegner, wahrscheinlich also Pech hat. Ein Wert über 1 bedeutet dementsprechend wahrscheinlich eine Glückssträhne, die meist nicht lange andauert.
Über die ganze Saison gesehen liegt Sturm tatsächlich am Ende dieser Wertung, nämlich bei 0,96. Das ist allerdings kein Wert, der auf besonders viel Pech hinweisen würde (das wäre in etwa bei Werten unter 0,9 der Fall). Im Frühjahr ist zudem der Wert sogar etwas gestiegen, womit Sturm in diesen sechs Spielen nicht mehr den niedrigsten Wert aller Teams hat (den hat dort die Admira mit 0,91). Die Ergebnisse nur auf Pech oder Zufall zu schieben, ist also nicht ganz zutreffend.
Woher kommt aber diese Differenz zwischen relativ guten Leistungsdaten und schwachem Abschneiden bei Toren und Punkten? Dafür unternehmen wir einen kleinen Ausflug in die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wir nehmen die abgegebenen und zugelassenen Schüsse und errechnen, wie viele Tore bzw. Gegentore dadurch fallen hätten sollen und wie hoch die Wahrscheinlichkeit für die tatsächlich gefallenen Tore ist (Graphik 3). Dabei kontrollieren wir nicht für Schussqualität, sondern gehen von einer uniformen Verwertungswahrscheinlichkeit von 11% (eins dividiert durch neun) für jeden Schuss aus.
Graphik 3: Torwahrscheinlichkeiten in den sechs Frühjahrsspielen; tatsächliche Toranzahl jeweils rot markiert.
Die Erwartungswerte, also die Zahl, wie viele Tore und Gegentore hätten fallen sollen, sind dementsprechend einfach zu ermitteln: Man dividiert einfach die Zahl der abgegebenen und zugelassenen Schüsse durch die Torwahrscheinlichkeit, also durch ein Neuntel. Bei 90 abgegebenen und 64 zugelassenen Schüssen kommen wir also zu einer erwarteten Tordifferenz von 10:7. Sturm hätte also sowohl mehr Tore erzielen als auch erhalten sollen. Die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Tore ist vor allem bei den erzielten Toren sehr niedrig (0,5%), aber so etwas kommt vor.
Angesichts des erwarteten Nutzens erzielter und erhaltener Tore kann man daraus errechnen, dass Sturm angesichts seiner Schussdaten bei ziemlich genau acht Punkten aus den sechs Frühjahrspartien stehen sollte. Das sind zwar zwei mehr als tatsächlich, allerdings auch nicht besonders viele. Wenn man diese zwei mehr hätte (also beispielsweise die Spiele gegen Rapid und Mattersburg nicht verloren, sondern remisiert), läge man bei 37 Punkten, also genau beim Erwartungswert nach der Punkteprognose. Damit lässt sich schlussendlich festhalten, dass Sturm so spielt, wie es eben kann.
Schließlich könnte man noch über die Verantwortung des Trainers diskutieren. Wie ich in einem anderen Beitrag gezeigt habt, holt sein Team regelmäßig mehr Punkte als erwartet, was ja unter anderem in einem unerwarteten Meistertitel gipfelte. Dass in dieser Saison bisher zwei Punkte weniger als erwartet geholt wurden, ändert diese Bilanz nicht wirklich, vor allem da die Punkteausbeute ja im Erwartungsbereich liegt. Das heißt nicht, dass der Trainer über der Kritik stehen sollte (vor allem, da diese Auswertung ja nur Punkte berücksichtigt, und nicht andere Dinge wie taktische Weiterentwicklung, Attraktivität der Spielweise oder den Einbau von Jugendspielern, was ebenso zu den Aufgaben eines Cheftrainers gehört). Sturm ginge mit einer Trainerentlassung allerdings ein großes Risiko ein. Erstens ist der Kreis an Trainern, die schon gezeigt haben, dass sie regelmäßig mehr aus ihren Mannschaften herausholen (zum Beispiel Canadi und Lederer) und die für Sturm verfügbar sind, eher klein. Zweitens müssen diese auch zur Weiterentwicklung der Mannschaft befähigt sein, wofür man nie die Garantie hat. Drittens wäre eine Freistellung Fodas ein Jahr vor seinem Vertragsende aufgrund der Gehaltsfortzahlung auch ein kostspieliges Unterfangen für den Klub, der gerne auch die wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen als Grund für das sportliche Hinterherhecheln hinter den drei anderen großen Klubs angibt.
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