Dienstag, 17. März 2015

Die Zuschauerzahlen im zeitlichen und internationalen Vergleich

Seit bereits einigen Saisonen sind die Zuschauerzahlen in der österreichischen Bundesliga rückläufig. Allerdings hat man sich auf einem höheren Niveau eingependelt als noch vor zwanzig Jahren, auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern liegt man nicht schlecht. Dieser Beitrag untersucht die Entwicklung der Zuschauerzahlen über die Zeit sowie im Vergleich zu anderen europäischen Ligen. Die Daten bezüglich der Zuschauerzahlen stammen von der Webseite European Football Statistics

Bereits zweimal in dieser Spielzeit wurden Partien der österreichischen Bundesliga vor weniger als 1000 Zusehern ausgetragen. Beide Male war Grödig die Heimmannschaft und spielte gegen einen der niederösterreichischen Tabellennachzügler. Mit Ausnahme eines einzigen Spiels der Admira gegen den GAK im Herbst 2005 waren es zudem die beiden Spiele mit der niedrigsten Zuschauerzahl der gesamten Bundesligageschichte. Dass die Heimspiele eines Teams aus einer ländlich geprägten Gemeinde mit knapp 7000 Einwohnern, das vor einigen Jahren noch im Unterhaus spielte und nach und nach in den Abstiegskampf gesogen wird, keine Publikumsmagnete sind, sollte klar sein; allerdings ist Grödig kein Ausreißer nach unten, vielmehr hat die gesamte Liga seit einigen Jahren mit rückläufigen Besucherzahlen zu kämpfen. 

Ein Vergleich mit der Spielzeit 2007/08, der absoluten Rekordsaison bezüglich Zuschauerschnitt, zeigt, dass die durchschnittliche Besucheranzahl in wenigen Jahren um etwa 2800 Zuseher abgenommen hat. Natürlich könnte dies daran liegen, dass Teams mit geringerem Zuschauerpotenzial in die Liga aufgestiegen sind und Vereine mit hohem Fanaufkommen sportlich verdrängt haben. Ein Vergleich der vier Teams, die damals noch in der obersten Spielklasse vertreten waren (Innsbruck, LASK, Austria Kärnten und Mattersburg) mit den vieren, die an ihre Stelle getreten sind (Admira, Wiener Neustadt, Wolfsberg und Grödig) zeigt tatsächlich massive Unterschiede. Die ersten vier hatten 2007/08 zusammen einen Schnitt von knapp über 9000 Besuchern, während die jetzigen vier Bundesligisten in der heurigen Saison lediglich auf einen Schnitt von etwa 3400 Zuschauern kommen. Die Aufsteiger der vergangen Jahre haben also den Gesamtschnitt der Bundesliga nachhaltig nach unten gedrückt.

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Einerseits ging nicht nur der Zuschauerschnitt, sondern auch die Auslastung der Stadien nach unten. Der Rückgang liegt also nicht nur daran, dass Vereine mit schlechterer Infrastruktur, also kleineren Stadien, nach oben gekommen sind. Andererseits zeigt ein Vergleich der anderen sechs Bundesligisten, also jener, die bereits damals in der obersten Liga spielten und seitdem nicht abstiegen (Austria Wien, Salzburg, Rapid, Sturm und Ried) beziehungsweise den Wiederaufstieg schafften (Altach), ein Rückgang. Von diesen sechs haben nur die beiden Wiener Vereine in der heurigen Saison einen höheren Zuschauerschnitt als vor sieben Jahren, die anderen mussten teilweise massive Einbußen hinnehmen. Den größten Zuwachs verzeichnet im Vergleich die Wiener Austria mit +7,43%, Rapid kommt auf 4,62% mehr Zuseher. Den größten Einbruch hatte die SV Ried mit -32,4%, auch Sturm (-23,12%) und Salzburg (-16,94%) verloren deutlich an Zusehern. Auch Altach konnte trotz des Aufstiegs nicht mehr Zuschauer anlocken und verlor 8,8% im Vergleich zu 2007/08.

Graphik 1: Die Zuschauerschnittentwicklung in der österreichischen Bundesliga seit 1974/75. Die schwarze Linie zeigt den tatsächlichen Zuschauerschnitt in jeder Saison, die blaue Linie den linearen Trend, die rote Linie den Durchschnitt über alle Saisonen.

Die Rekordsaison 2007/08 ist als Vergleichswert allerdings natürlich verzerrend. Seit Einführung der Bundesliga war der Zuschauerschnitt nur in dieser und in der unmittelbar folgenden Spielzeit höher als 9000 Besucher pro Spiel. Über 8000 lag er auch nur in zwei weiteren Saisonen (1997/98 und 2006/07). Neben einer Kombination an vielen zuschauerstarken Vereinen in der obersten Spielklasse dürfte das Auftreten signifikant höherer Zuschauerzahlen um 2008 durchaus mit der in diesem Jahr stattfindenden Europameisterschaft und einer dadurch ausgelösten Fußballeuphorie in Zusammenhang stehen.

Wenn man den langjährigen Trend der Zuschauerschnittentwicklung ansieht, wird auch klar, dass die Saison 2007/08 der Endpunkt eines Aufwärtstrends war, und die derzeitige vielleicht die Talsohle des darauffolgenden mehrjährigen Einbruchs ist. Wie Graphik 1 zeigt, verlief die Entwicklung der Besucherzahlen seit Schaffung der Bundesliga zyklisch. Zwar gab es auch zwischen einzelnen Saisonen eklatante Unterschiede, allerdings scheinen sich doch Aufwärts- und Abwärtstrends einigermaßen die Waage zu halten. So folgte auf ein Tief 1977/78 ein erster Höhepunkt 1979/80, mit etwa 6500 Zusehern im Schnitt. Danach kam allerdings eine Flaute, die beinahe die gesamten Achtzigerjahre und länger andauerte und erst 1995 endete. Bis zur Jahrtausendwende blieben die Zuschauerzahlen überdurchschnittlich, bevor zu Beginn der Nullerjahre wiederum eine Flaute begann, wenn auch auf höherem Niveau als zwanzig Jahre zuvor. Darauf folgte der bereits erwähnte Aufschwung, der in der Rekordsaison gipfelte und von einem bis heute andauerndem Abwärtstrend abgelöst wurde.

Der Gesamttrend dieses Zeitraums geht allerdings nach oben und ist in Graphik 1 durch die blaue Linie dargestellt. Anhand dieser Linie kann auch gezeigt werden, dass die Zahlen der letzten drei Saisonen unter den Erwartungen liegen; die Saison 2011/12 war die erste seit 2004/05, die unterhalb der blauen Linie liegt, also schwächer war als es der Trend vermuten lassen würde. Diese negative Entwicklung setzte sich in den beiden folgenden Saisonen noch fort.

Andererseits muss auch angemerkt werden, dass diese Saisonen immer noch über dem langjährigen Durchschnitt liegen (die rote Linie in Graphik 1). Seit 1994/95 waren alle Saisonen über diesem Wert mit Ausnahme von 2002/03, während vorher lediglich 1979/80 darüber lag. Mitte der Neunzigerjahre vollzog sich also ein Wandel bezüglich der Zuseherzahlen, der bis heute nachwirkt. Während davor Durchschnittswerte von unter 5000 Besuchern pro Spiel keine Seltenheit waren, ist man seitdem nur in einer Saison unter 6000 gelandet. Es ist also einigermaßen wahrscheinlich, dass die derzeitige Saison der Tiefpunkt oder diesem zumindest sehr nahe ist. Da es durchaus möglich ist, dass der heurige Absteiger durch einen Aufsteiger mit mehr Zuschauerandrang ersetzt wird, könnte mit dem nächsten Jahr sogar wieder ein Aufwärtstrend starten.

Der langfristige Aufwärtstrend könnte natürlich in Zusammenhang mit dem Wachstum der Gesamtbevölkerung stehen. Die Bevölkerung wuchs von 1981 bis 2011 (aufgrund der früheren Praxis der Volkszählungen sind keine Daten für einzelne Jahre vor 2001 verfügbar) um 11,21%, der Zuschaueranstieg im selben Zeitraum betrug allerdings 27,84%, ist also mehr als doppelt so hoch. Wirklich vergleichbar sind beide Kennzahlen allerdings nicht; während die Bevölkerung relativ gleichmäßig zunimmt, gibt es bei den Zuschauerzahlen recht starke Schwankungen, sowohl nach oben als auch nach unten.  

Graphik 2: Der Zuschauerschnitt in 49 europäischen Fußballligen in der Saison 2014/15.

Im internationalen Vergleich von 49 erfassten nationalen Ligen liegt die österreichische Bundesliga sogar im oberen Mittelfeld (Platz 19). Wie Graphik 2, in der Österreich mit einem etwas vergrößerten roten Punkt dargestellt ist, zeigt, sind die größten Ligen Europas weit außer Reichweite (Deutschland, England, Spanien, Italien, Frankreich und die Niederlande). Auch Länder wie Belgien, die Schweiz und Portugal, die in Bezug auf die Einwohnerzahl mit Österreich einigermaßen vergleichbar sind, haben einen Zuschauerschnitt über 10.000, also mehr als die heimische Liga selbst in den besten Jahren. Andererseits liegen Länder mit teilweise weit höherer Einwohnerzahl wie Tschechien, Kasachstan, Rumänien, Griechenland und Ungarn in dieser Statistik hinter Österreich. 

Der österreichische Zuschauerschnitt liegt zwar ganz knapp unter dem gesamten europäischen Durchschnittswert von etwa 6700 Zusehern, dieser wird allerdings durch die sechs Länder mit dem höchsten Schnitt weit nach oben getrieben. Wenn man die zwei Extremwerte an beiden Enden der Stichprobe außer Acht lässt (also Deutschland, England, Lettland und Estland), sinkt der Durchschnittswert bereits auf 5500, liegt also deutlich unter dem heurigen Wert der österreichischen Liga und auf einem Niveau, auf dem sich diese zuletzt Anfang der 1990er befand. Der Medianwert, der von Ausreißern weniger stark beeinflusst wird, liegt sogar nur bei 2718 und damit weit unterhalb des österreichischen Schnitts (in jeder der vierzig Saisonen). Anders ausgedrückt: 30 der 49 Länder liegen unterhalb von 5000 Zuschauern pro Spiel, ein Schnitt, den die österreichische Bundesliga seit 1993/94 nicht mehr unterschritten hat.

Graphik 3: Der Zusammenhang zwischen Einwohnerzahl und Zuschauerschnitt. Die blaue Linie zeigt die lineare Regressionsgerade an, der dunkelgraue Schatten die 95%-Konfidenzintervalle. Die österreichische Bundesliga ist durch den roten Punkt gekennzeichnet.

Geht man davon aus, dass das Interesse an Fußball und damit der Besuch von Fußballspielen über alle europäischen Länder gleichmäßig verteilt ist, müsste der Zuschauerschnitt hoch mit der Einwohnerzahl eines Landes korrelieren. Die Logik dahinter ist klar: Je mehr Leute in einem Land wohnen, desto mehr Fußballinteressierte gibt es, die Partien der höchsten Liga besuchen. Dass diese Annahme nicht ganz realistisch ist und der Zusammenhang auf keinen Fall monokausal, zeigt alleine die Tatsache, dass es in einem einzelnen Land wie Österreich zu hohen Schwankungen über die Zeit kommt. Allerdings besteht der Zusammenhang tatsächlich, und er ist auch recht stark (=0,4) und statistisch hoch signifikant (p<0.01). Je mehr Einwohner ein Land hat, desto höher wird also tendenziell auch der Zuschauerschnitt in diesem Land sein; eine Million Einwohner mehr erhöht den Schnitt dabei um etwa 200. Nach diesem Modell sollte Österreich einen Zuschauerschnitt von knapp 4700 haben, schneidet also weit besser ab, als es die Einwohnerzahl erwarten ließe. Diese Tatsache zeigt auch Graphik 3, die den Zusammenhang zwischen Einwohnerzahl und Zuschauerschnitt mittels eines Punktdiagramms darstellt. Österreich liegt dabei über der Regressionslinie und innerhalb des Konfidenzintervalls. Seit nunmehr 20 Saisonen liegt der Schnitt über dem (für die derzeitige Einwohnerzahl geschätzten) Erwartungswert.

Die Tatsache, dass viele der Beobachtungen weit entfernt von der Regressionsgeraden und außerhalb der Konfidenzintervalls liegen, weist darauf hin, dass das Modell noch verbessert werden kann. Sowohl die Ligen mit dem höchsten Zuschauerschnitt (die Top Fünf) als auch Russland und die Türkei als Ausreißer nach unten passen schlecht in das Modell. Das liegt allerdings weniger an den Ausreißern per se, sondern an der Verteilung der Daten. Sowohl die Einwohnerzahl pro Land als auch der Zuschauerschnitt sind nicht normalverteilt, was eine zentrale Annahme sowohl bei Korrelations- als auch Regressionsanalysen ist. Die Verteilung ist bei beiden vielmehr rechtsschief, was sich im bereits erwähnten großen Unterschied zwischen Mittelwert und Median äußert. Die Ergebnisse sind also verzerrt. Um dieses Problem zu umgehen, wird in Graphik 4 der gleiche Zusammenhang dargestellt, diesmal wurden die Daten allerdings logarithmiert (natürlicher Logarithmus).

Graphik 4: Der gleiche Zusammenhang wie in Graphik 3, nur sind beide Variablen logartihmiert.

Dadurch entsteht ein viel besserer Zusammenhang, das r² steigt von 0,4 in Graphik 3 auf 0,6, die statistische Signifikanz bleibt logischerweise sehr hoch. Zwar ist das Ergebnis durch die Logarithmierung nicht mehr ganz eins zu eins zu interpretieren, die österreichische Bundesliga ist jedoch auch in diesem Modell unter den besseren Ligen. Das Modell prognostiziert für Österreich ein Zuschauerschnitt von etwa 3400, also etwa nur halb so viele wie aktuell und weniger als in der schlechtesten aller Saisonen (1984/85). 

Natürlich sollte man sich von diesen Daten nicht blenden lassen. Zwar liegt die heimische Liga besser als zwei Drittel der europäischen Ligen und hat auch mehr Zuschauer pro Spiel als die Bevölkerungszahl vermuten ließe; andererseits sind diese Erwartungen auch mittels Daten errechnet worden, die für Österreich katastrophal niedrig sind. 12 Länder haben weniger als 1000 Zuschauer pro Spiel, eine Zahl, die in österreichischen Einzelspielen Negativrekorde kennzeichnet. Die Hälfte der Länder liegt unter einem Schnitt von 2718, was immer noch weit niedriger als die schlechteste Saison der heimischen Bundesliga ist. An diesen Ländern sollte man sich also was Zuschauerzahlen angeht nicht orientieren. Andererseits gibt es Länder, die was den Zuschauerschnitt angeht, weiter vor Österreich liegen, als es kleinere Unterschiede bezüglich der Einwohnerzahl vermuten ließen. Dazu zählen Schottland, Schweden, die Schweiz und Belgien. Was in diesen Ländern genau besser gemacht wird als in Österreich, kann hier nicht beantwortet werden. Klar wurde allerdings, dass die Zuschauerzahlen auch in einem einzelnen Land großen Schwankungen unterworfen sein können, dass sie in Österreich zyklisch verlaufen und deshalb der derzeitige Tiefpunkt nicht überraschend ist, dass diese Zyklen unter anderem von den in der Liga vertretenen Teams abhängig sind und dass die Einwohnerzahl zwar ein wichtiger Faktor bei der Höhe des Zuschauerschnitts einer Liga ist, allerdings als alleinige Erklärung nicht ausreicht.

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